Es ist ein lauer, sonniger Tag im Mai. Der Hamburger SV macht auf seiner alljährlichen Sommertournee Station in Büdelsdorf, einem 10.000 Seelen-Nest irgendwo zwischen Nord-Ostsee-Kanal und schleswig-holsteinischem Niemandsland. Knapp 6.000 Schaulustige sind zu diesem lockeren Aufgelopp gegen den VfB Stuttgart gekommen. Feiste Kinder stehen in der Schlange am Bratwurststand, ihre Väter zieht es zum Bierpilz. Rausgeputzte Vorstadtmütter fragen sich entweder, was sie hier verloren haben oder schauen gelangweilt zum öde dahinplätschernden Kick auf einer teilbestuhlten Symbiose zwischen Bolzplatz und schmuckem Mehrzweckstadion. Provinz eben. Hinter ihnen stehen drei fettleibige HSV-Fans; ihre roten Sehschlitze, die dort im Gesicht liegen, wo man Augen vermuten könnte, lassen auf zu viel Alkohol für so einen warmen Nachmittag im Spätfrühling schließen. Irgendein Spieler ihrer Mannschaft nimmt sich schließlich ein Herz und
läuft aufs Stuttgarter Tor zu. Ein Abwehrspieler des VfB attackiert ihn, schnappt sich den Ball und passt ihn geschickt auf einen Mitspieler. Gefahr bereinigt. Von wegen. “Schwule Sau!“ ertönt es aus Richtung der Plastikbecherhalter. Betroffenes Schweigen. Und gleich nochmals: “Schwule Sau!“ Dann ruft endlich eine Frau zurück: “Hey, hier sind auch Kinder!“ “Schwule Sau!“, schallt es nochmal bekräftigend von einem der kuttentragenden Saufbolde. Hilfloses Kopfschütteln, betretenes Ignorieren. “Beim Fußball geht es eben etwas derber zu“, flüstert der bis dahin stumme, adrett gescheitelte Ehemann seiner Familie entschuldigend zu, “das darf man nicht so ernst nehmen.“
Jens Kuzel nimmt diese Ausfälle ernst – besonders wenn sie von Anhängern “seines“ HSV kommen. Er ist Mitglied der Volksparkjunxx, eines schwul-lesbischen Fanklubs des Bundesliga-Dinos. “Das ist auch Ziel unserer Arbeit: Homophobie soll in der öffentlichen Wahrnehmung eine ähnliche Ächtung erfahren wie Rassismus“, sagt er. Und verweist auf Positivbeispiele, die beweisen, dass sich die Dinge auch im Fußball bewegen. Nur etwas langsamer eben. “Beim FC St. Pauli und bei Werder Bremen steht das Verbot von Homophobie sogar in der Satzung“, erkl&aunl;rt er. “Wenn also ein Mitglied oder Spieler bei entsprechenden Sprüchen erwischt wird, kann er dafür belangt werden. Im Wiederholungsfall droht sogar ein Vereinsausschluss.“ Trotzdem gibt es immer wieder Ausfälle, die das Bild vom vermeintlich aufgeklärten Fußballfan des 21. Jahrhunderts ohne Umwege ins Mittelalter zurückkatapultieren.